Doppelter Boden, doppelter Impact: Das aus Minneapolis stammende Alternative-Rap-Duo Atmosphere kündigt mit dem neuen Studioalbum „Jestures“ (VÖ: 19.09. auf Rhymesayers Entertainment) eine künstlerisch ambitionierte und konzeptuelle Veröffentlichung an, die Rap-Fans wie Musiktheoretiker*innen gleichermaßen faszinieren dürfte.
Parallel zum Album-Announcement wurden direkt zwei neue Singles veröffentlicht: „Velour“ und „Really“, Letztere begleitet von einem spektakulären Musikvideo, das irgendwo zwischen John Wick, The Rehearsal und Jackass pendelt – ein überdrehtes Action-Ballett, das so unterhaltsam wie ironisch inszeniert ist.
Alphabet-Rap mit chirurgischer Präzision
„Jestures“ umfasst exakt 26 Songs, jeder beginnt mit einem anderen Buchstaben des Alphabets – geordnet von A bis Z. Selbst die ausgewählten Gäste wie Evidence oder Kurious fügen sich in dieses Prinzip ein. Trotz der Anzahl wirkt das Album nicht ausufernd: Viele der Tracks sind bewusst kurz gehalten, liefern ihre Pointen mit chirurgischer Präzision und bilden ein klug kuratiertes Gesamtbild.
So ist „Jestures“ keine überlange Playlist, sondern ein musikalisches Mosaik, das sich in Bewegung befindet – wie ein Gedichtband, bei dem jedes Gedicht ein Fragment eines größeren Gefühls ist. Es ist ein Album über die Spannung zwischen Zeit, Erinnerung und Selbstreflexion, das in seiner Struktur genauso radikal wie zugänglich ist.
Slug & Ant – 30 Jahre Indie-Rap mit Seele
Seit über drei Jahrzehnten sind Sean “Slug” Daley und Anthony “Ant” Davis als Atmosphere aktiv – als Pioniere des Independent-Rap, als Chronisten des Alltags, als poetische Realisten mit Beat. Wo andere Künstler sich im Status oder Style verlieren, bleibt Atmosphere introspektiv, zugänglich und menschlich.
„Jestures“ bleibt diesem Ansatz treu: Slugs Texte sind persönlich, aber nie privat; sie reflektieren Beziehungsdynamiken, familiäre Herausforderungen, Identitätsfragen und die Kraft kleiner Gesten. Ants Beats schaffen die emotionale Kulisse – mal glitchy, mal soulvoll, mal reduziert auf eine Kick und eine Stimmung.
Zwischen Ernst und Ironie
Natürlich bleibt auch Platz für Selbstironie: Atmosphere nennen sich selbst augenzwinkernd „The Cadillac of DadRap“ – ein Hinweis auf ihr Alter, ihre Erfahrung und ihre stilistische Reife. Aber das Duo ist weit davon entfernt, sich auf seiner Legacy auszuruhen. Stattdessen liefern sie ein Konzeptalbum, das sowohl musikalisch wie intellektuell fordert, aber dabei nie den emotionalen Zugang verliert.
Im August geht Atmosphere in den USA mit Cypress Hill, Lupe Fiasco und The Pharcyde auf große „Dank Daze of Summer“-Tour. In dieser starken Gesellschaft beweisen Slug & Ant einmal mehr, dass sie zur Crème de la Crème des Alternative-Hip-Hop gehören – und dass ihre Vision von Rap 2025 relevanter ist denn je.
