Persönliche Review: Dave The Boy Who Played The Harp – Ein Kunstwerk der Selbstanalyse
Als Rezensent, der öfter mal die eine oder andere Review schreibt, kommt man sehr oft in den Genuss, Alben Wochen oder Tage vor der offiziellen Veröffentlichung zu hören. Einer der Vorteile dieses Jobs. Aber diesmal war alles anders. Erst am VÖ-Tag durfte ich das Album hören. Und ja, ich weiß jetzt auch, wieso. Es ist ein Kunstwerk, nicht nur eine x-beliebige Platte eines Rappers. Aber fangen wir vorne an.
Dave The Boy Who Played The Harp, das dritte Soloalbum des britischen Rap-Superstars Dave, erschien ohne Vorab-Singles. Es ist ein ambitioniertes, melancholisches Werk der Selbstreflexion. Dave zeigt hier, dass er zu den klügsten und emotional tiefgründigsten Textern seiner Generation gehört. Vier Jahre liegen zwischen diesem Album und seinem letzten Soloalbum We’re All Alone in This Together. Die zwei Jahre seit dem Megahit „Sprinter“ mit Central Cee scheinen wie eine Ewigkeit. Während sein Partner die internationale Bühne nutzte, zog sich Dave weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück. Die Gründe für diesen ungewöhnlichen Schritt finden sich nun in dieser neuen Musik. Es ist ein Album, das als Gesamtkunstwerk gehört werden will.
Zwischen Prahlerei und tiefstem Zweifel
Das Album beginnt mit sakral klingender Orgelmusik und Zeilen, die zunächst wie die Selbstdarstellung eines Superstars wirken. Dave rappt über seinen Erfolg und ein Vermögen. Doch es zeigt sich schnell: Dies ist nur ein Täuschungsmanöver. Der Opener „History“ dient als Trick, hinter dem sich ein zutiefst nachdenkliches Werk verbirgt. Musikalisch ist das Album zurückhaltend und atmosphärisch. Sanfte Klaviermotive und minimalistische Beats prägen die Songs. James Blake ist hier als Produzent und Sänger omnipräsent.
Hinter der ruhigen Oberfläche brodelt ein tiefes Ringen mit Selbstzweifeln. Dave stellt sich in „Selfish“ die universellen Fragen seiner Generation. Er zweifelt an Beziehungen, an der eigenen Lebensplanung und fragt sich, ob er überhaupt fähig ist, sich emotional festzulegen: „Du hättest längst Kinder haben sollen… fühlst du dich nicht, als würdest du hinterherhinken?“
Gespräche zwischen den Generationen
Ein absolutes Highlight ist „Chapter 16“, konzipiert als intensiver Dialog mit UK-Rap-Ikone Kano. Kano ist für Dave zu einer Art Mentor geworden. Zwischen Gesprächen über Ruhm und Verantwortung bittet Dave ihn um Beziehungsratschläge. Kano, der „ältere Bruder“, erzählt von der Freude, den Sportwagen gegen Kindersitze einzutauschen. Dieses generationsübergreifende, seelenvolle Gespräch mit Jazz-Feeling bildet das emotionale Herzstück des Albums.
Doch Dave The Boy Who Played The Harp ist mehr als nur ein Tagebuch der Zweifel. Es ist auch eine Abrechnung mit der Kunst selbst. In „My 27th Birthday“ stellt Dave infrage, ob seine Texte gesellschaftlich genug bewirken können. Er fragt, ob Rap überhaupt noch etwas verändern kann: „Wir brauchen keine Kommentatoren – hört einfach die Musik, wozu noch jemandes Gedanken?“ Ironischerweise beantwortet er diese Frage selbst: Es sind genau seine Gedanken, die das Album so eindrucksvoll machen.
Der moralische Kern und der endgültige Beweis
Die wahre erzählerische Stärke Daves zeigt sich, wenn er den Blick nach außen richtet. Besonders in „Fairchild“ erreicht das Album seinen moralischen Kern. Das Stück thematisiert eindringlich sexualisierte Gewalt. Er erzählt von einem Übergriff aus wechselnden Perspektiven, inklusive der Rapperin Nicole Blakk. Der Track endet in einem erschütternden Wutausbruch über Misogynie und die Verlogenheit der Szene: „Ich bin mitschuldig – kein bisschen besser als ihr.“ Diese erschütternde, ehrliche Zeile brennt sich ein und macht das Album zum Spiegel.
Das abschließende Titelstück fasst alles zusammen. Dave vergleicht das symbolische Spiel der Harfe mit seinem Mikrofon. Musik ist seine Waffe für Gerechtigkeit. Daves Wortgewandtheit, Flow und Emotion schaffen Tiefe ohne Pathos. The Boy Who Played The Harp ist Daves bislang ruhigstes, reifstes und tiefgründigstes Werk. Es ist der endgültige Beweis, dass Dave einer der bedeutendsten Rapper unserer Zeit ist.
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