Ich erinnere mich noch genau daran, wie lange ich auf dieses Album gewartet habe. Das dritte Studioalbum von OneRepublic, Native, wurde immer wieder verschoben. Jedes Mal dachte ich: „Jetzt kommt es endlich“ – und dann wieder nicht. Als es dann schließlich 2013 veröffentlicht wurde, war meine Vorfreude riesig. Vielleicht war genau das mein Problem: meine Erwartungen waren schlicht zu hoch. Heute, Jahre später, empfinde ich das Album als solide, teilweise stark, aber eben auch mit deutlichen Schwächen. Und gerade weil ich die Band so sehr schätze, weil ich ihre Reise seit den frühen 2000ern mitverfolge, fühle ich mich fast verpflichtet, ehrlich zu sagen: ich hatte mir mehr erhofft.
Ryan Tedder ist für mich eine faszinierende Figur. Als Frontmann von OneRepublic kennt man ihn, aber sein wahres Genie zeigt sich oft hinter den Kulissen – in seinen Arbeiten für andere. Ich meine, wir reden hier von Songs wie Bleeding Love (Leona Lewis), Halo oder I Was Here (Beyoncé), Rumour Has It oder Turning Tables (Adele). Alles Stücke, die große Gefühle transportieren, die unter die Haut gehen, die Popgeschichte geschrieben haben. Und dann höre ich mir Native an – und frage mich: warum bekommt OneRepublic nicht dieselbe Magie? Warum klingen die Songs für seine eigene Band oft „nur“ gut, radiotauglich, glatt produziert – aber nicht in derselben Liga wie die Werke, die er für andere geschrieben hat? Das ist der Punkt, an dem ich manchmal frustriert den Kopf schüttele.
Natürlich, OneRepublic sind keine Adele, keine Beyoncé. Sie haben ihren eigenen Sound, eine Mischung aus Pop, Rock und elektronischen Elementen. Aber trotzdem frage ich mich: Warum nicht einmal eine große Ballade, die Gänsehaut erzeugt? Warum nicht ein Song, der das Potenzial hat, für Jahre im Gedächtnis zu bleiben? Tedder könnte es – Stimme und Talent hat er.
Kommen wir zum Album selbst. Native ist… gut. Einfach gut. Nicht mehr, nicht weniger. Es steht für mich ungefähr auf einer Ebene mit den beiden Vorgängern. Einige Songs liebe ich bis heute, andere habe ich nach ein, zwei Durchgängen direkt übersprungen. What You Wanted ist so ein Beispiel. Ein Song, der klingt, als hätte ich ihn irgendwo schon mal gehört. Solide, aber austauschbar. Ähnlich ging es mir mit I Lived. Eigentlich ein Song mit schöner Botschaft, aber die Umsetzung wirkt auf mich uninspiriert. Es ist, als hätte Tedder in seiner Schublade nach dem nächstbesten Song gegriffen.
Und dann wieder Momente, die genau das Gegenteil beweisen. Light It Up und Can’t Stop sind frisch, voller Energie – aber sie treffen einfach nicht meinen persönlichen Geschmack. Trotzdem muss ich anerkennen: hier probiert die Band etwas Neues aus, und allein das verdient Respekt.
Ein Kapitel für sich ist Something I Need. Dieser Song ist für mich die absolute Krönung des Albums – und einer der besten OneRepublic-Songs überhaupt. Er ist frisch, mitreißend, hat eine unfassbare Energie und gleichzeitig eine emotionale Tiefe, die sofort hängen bleibt. Ich weiß noch, wie ich ihn zum ersten Mal gehört habe, und sofort klar war: das ist ein Hit, das ist der Song, der dieses Album trägt. Wenn ich an 2013 zurückdenke, dann gehört Something I Need für mich zu den besten Songs des Jahres. Ich würde ihn ohne zu zögern in meine persönliche Top 20 packen – und vielleicht sogar höher. Es ist genau dieser eine Song, der zeigt, wozu Tedder und die Band in der Lage sind, wenn alles zusammenpasst.
Zum Glück gibt es noch weitere Highlights. Counting Stars, das den Auftakt des Albums bildet, ist nicht umsonst ein weltweiter Hit geworden. Es hat Drive, es hat diesen typischen OneRepublic-Sound, der gleichzeitig modern und massentauglich wirkt. If I Lose Myself ist für mich ein weiterer Favorit – deutlich stärker als die Single Feel Again, die ich zwar solide, aber etwas blass finde. Auch Burning Bridges hat einen besonderen Platz bei mir, nicht zuletzt, weil er so wunderbar in den Flow überleitet, bevor Something I Need die volle Wucht entfaltet.
Doch neben diesen Glanzmomenten gibt es eben auch viel Durchschnitt. Ehrlich gesagt, würde ich sagen: 60 % der Songs sind für mich austauschbar oder schlicht langweilig, 40 % gefallen mir richtig gut. Und das ist für eine Band mit Tedders Potenzial einfach zu wenig.
Dazu kommen noch zwei Dinge, die mich richtig stören: Erstens die fehlenden Duette. Ryan Tedder hat bewiesen, wie stark er in Kollaborationen sein kann – man denke nur an Rocketeer mit Far East Movement oder The Fighter mit Gym Class Heroes. Warum also nicht mal einen Gast auf Native? Eine Leona Lewis, mit der er schon so viel gearbeitet hat. Oder sogar Beyoncé oder Adele – er kennt sie alle! Ich frage mich ernsthaft, warum er diese Chance nicht genutzt hat.
Zweitens: die Monotonie. Native bleibt streng in einer Pop-Rock-Schiene. Klar, das ist der Sound von OneRepublic – aber wenn die Hälfte der Songs nicht wirklich stark ist, wird es eben eintönig. Und das ist schade, weil Tedder ja längst gezeigt hat, wie vielseitig er sein kann. Mit Sebastian Ingrosso & Alesso hat er Calling (Lose My Mind) gemacht, mit Zedd Lost at Sea. Songs, die eine ganz andere Seite von ihm zeigen. Doch bei OneRepublic bleibt er lieber auf der sicheren Seite.
Vielleicht ist genau das der Punkt: Native ist kein Soloalbum von Ryan Tedder, sondern ein OneRepublic-Album. Und da gehört Rücksicht auf die Band dazu. Vielleicht bremst das gewisse kreative Ideen aus. Vielleicht ist das auch fair so – aber als Fan wünsche ich mir manchmal, er würde mutiger sein.
Unterm Strich bleibt: Native ist ein solides, gutes Album, aber kein Meisterwerk. Es hat eine Perle (Something I Need), ein paar weitere sehr gute Songs – und leider viel Füllmaterial. Ich höre die Platte immer wieder mal, aber meistens springe ich zu meinen Favoriten. Wenn ihr mich fragt, welche Songs ihr euch unbedingt anhören solltet, dann sind es: Something I Need (Pflicht!), Counting Stars, If I Lose Myself, Burning Bridges, Feel Again – und vielleicht noch Preacher. Der Rest? Nett, aber nicht zwingend.