Es gibt Alben, die schon beim ersten Hören eine klare Handschrift tragen. Man spürt sofort, wohin die Reise geht, was der Künstler oder die Band erzählen will. Und dann gibt es Alben wie Oh My My von OneRepublic. Platten, die faszinieren, überraschen, verwirren – und manchmal all das gleichzeitig.
Mich persönlich hat OneRepublic mit einem einzigen Song auf diesem Album sofort geködert: A.I., aufgenommen zusammen mit Peter Gabriel. Für mich als langjährigen Musikfan war allein diese Kollaboration ein Grund, hellhörig zu werden. Und tatsächlich: A.I. ist kein typischer OneRepublic-Radiohit. Kein zweites Counting Stars, das sofort ins Ohr geht, mitsingbar und gefällig ist. Nein, hier hört man Mut. Klangliche Tiefe. Eine Struktur, die sich auf halber Strecke komplett verändert, als würde Gabriel persönlich die Zügel übernehmen. Und genau das macht den Song so spannend. Es ist ein Werk, das wächst, das man mehrfach hören muss, um es zu verstehen. Ich gebe zu: ein Teil von mir hatte gehofft, dass das ganze Album in diese Richtung geht. Doch A.I. bleibt eine Ausnahme – und genau darin liegt die Krux von Oh My My.
Denn das Album ist alles andere als stringent. Es ist ein bunter Flickenteppich, oder wie man in Polen so schön sagt: „szwarc, mydło i powidło“ – Kraut und Rüben. OneRepublic zeigen hier ihr ganzes Können, ihre Experimentierfreude, ihre Lust, verschiedenste Genres auszuprobieren. Und genau das macht die Platte sowohl spannend als auch anstrengend.
Ryan Tedder selbst hat später eingeräumt, dass die Wahl der ersten Single Wherever I Go „eine merkwürdige Entscheidung“ war. Ich kann ihm da nur zustimmen. Der Song ist eingängig, Tedder singt brillant, sein Falsett schwebt mühelos über einem soliden Pop-Fundament – aber am Ende bleibt er doch nur einer von vielen Tracks, die damals in dieser House-Pop-Welle untergingen. Ein bisschen austauschbar, ein bisschen zu glatt. Und doch: irgendwo im Hintergrund spürt man, dass hier eine Band am Werk ist, die eigentlich viel mehr kann.
Ganz anders Kids, die zweite Single. Dieser Refrain, der sofort zum Mitsingen einlädt, ist ein kleiner Festival-Moment für sich. Ich sehe förmlich das Publikum vor mir, das hüpfend „Kids, Kids!“ skandiert. Es macht Spaß, es funktioniert live – aber ist es das, was OneRepublic ausmacht? Schwer zu sagen.
Und genau hier beginnt das große Hin und Her dieses Albums. Zwischen diesen offensichtlichen Pop-Hits finden sich Lieder, die unglaublich feinfühlig und künstlerisch ambitioniert sind. Fingertips zum Beispiel, eine zarte elektronische Ballade, die mich sofort an Künstler wie Sohn oder James Blake erinnert. So minimalistisch, so verletzlich – und doch voller Atmosphäre. Oder Human, ein Stück, das kaum aufdringlicher sein könnte und gerade deshalb so tief geht. Das sind Momente, in denen OneRepublic zeigen, dass sie weit mehr sind als eine Radio-Band.
Doch dann kommen wieder Songs, die in eine völlig andere Richtung abbiegen. Choke – ein pompöser Track, bei dem ich sofort an Emeli Sandé denken musste, die problemlos als Duettpartnerin gepasst hätte. Dream dagegen klingt amerikanisch, geradlinig, fast simpel in seiner Gitarrenarbeit, als wollten OneRepublic plötzlich eine Stadion-Rockband sein. Und Better? Schwer, druckvoll, fast schon im Fahrwasser von Awolnation unterwegs. Wer hier nicht vorbereitet ist, bekommt als Hörer tatsächlich eine kleine Überdosis.
Das Album endet mit Heaven, einem stadiontauglichen Abschluss, der noch einmal zeigt, wohin die Reise für OneRepublic theoretisch gehen könnte: große Bühnen, große Gesten, Hymnencharakter. Aber auch hier stellt sich die Frage: Ist das wirklich der Kern dieser Band, oder nur ein weiterer Versuch, sich auszuprobieren?
Und da stehe ich dann als Hörer, nach über einer Stunde Musik, und weiß nicht so recht, was ich mit diesem Album anfangen soll. Einerseits bin ich beeindruckt von der Vielseitigkeit, von dem Mut, nicht immer denselben sicheren Pop-Formeln zu folgen. Andererseits sehne ich mich nach einer klareren Linie, einem roten Faden, der die einzelnen Stücke miteinander verbindet.
OneRepublic sind ohne Frage eine Band mit enormem Potenzial. Sie haben einen Sänger, der zu den besten seiner Generation gehört. Ryan Tedder hat nicht nur eine unverwechselbare Stimme, sondern auch ein unerschöpfliches Gespür für Melodien, das er längst auch als Produzent für andere Stars unter Beweis gestellt hat. Und doch wirkt Oh My My wie eine Sammlung von Ideen, die nicht ganz zusammenfinden wollen.
Vielleicht ist das aber auch genau der Punkt: Oh My My ist kein Album, das man linear durchhören und sofort einordnen kann. Es ist eine Momentaufnahme einer Band, die auf der Suche ist. Die ausprobieren will, die sich nicht festlegen lässt. Mal Pop, mal Ballade, mal Stadionrock, mal Elektro-Experiment. Alles auf einer Platte.
Ob man das jetzt liebt oder verwirrend findet, bleibt jedem selbst überlassen. Für mich persönlich ist Oh My My ein Album, zu dem ich immer wieder zurückkehre – aber nie am Stück. Ich picke mir Songs heraus, entdecke sie neu, höre in A.I. immer noch diese magische Handschrift von Peter Gabriel, lasse mich von Fingertips berühren, springe bei Kids automatisch im Takt. Und vielleicht ist genau das die Stärke dieses Albums: es zwingt mich, immer wieder neu zu entscheiden, was OneRepublic für mich eigentlich sind.
Ein Meisterwerk? Nein. Ein mutiges Experiment? Ja, definitiv. Und ein Werk, das zeigt, dass auch eine erfolgreiche Popband sich nicht auf eine Formel reduzieren lässt.